OPFERSCHALEN

 

Abb. 58 Abb. 60 Abb. 62

Neben vielen, anderen wenig realistischen Ausdruckselementen der Komaland-Terrakotten fallen vor allem die konkaven Kopfformen auf, die fast immer mit weiteren Formelementen verbunden sind. In der Mitte der Kopfschale befindet sich ein kleiner Tonstreifen (Detavernier 1990: languette; Broggini 1992: linguetta), mit einem spaltförmigen Einschnitt oder einem tiefen Loch. Einige dieser

Abb. 59

Gebilde ähneln der Darstellungsform von Kaurischnecken (Abb. 58), sodass Anquandah (1985: 31) die konkaven Schalen mit Tonstreifen und Einschnitt als ‘hats with cowries in the top centre’ deutet. Auch Dagan (1989: 21) und Detavernier (1990: 20) sprechen von einer Kauriform in der Bedeutung eines Sexualsymbols.

Abb. 61

In den Kopfschalen einiger Figuren findet man nur ein tiefes, rundes Loch ohne Tonstreifen (Abb. 59) oder einen Tonstreifen ohne Loch (Abb. 60). Bei zwei nebeneinander liegenden Schalen, wie sie vor allem bei Janusfiguren und doppelten Steckkegeln auftreten, zieht sich der Tonstreifen von der Mitte der einen Schale über den Rand der nächsten Schale (Abb. 61). Dass die Opferschalen wohl von größerer funktionaler Wichtigkeit waren als die Gesichter selbst, beweisen einige Figuren mit großen Schalen aber fehlenden oder verkümmerten Gesichtern (9783, 8797, 3255).

Die eingestochenen Löcher haben oft eine beachtliche Tiefe von mehreren Zentimetern (nach Dagan bis zu 4,5 cm), d.h. sie reichen mitunter bis zur Mitte der Figur. Wenn ein Kopf vom Rumpf abbricht, erlaubt das Loch manchmal eine Durchsicht durch den oberen Teil der Figur (Abb. 5). Die Tiefe des Schädelloches entspricht denen der Ohr- und Nasenlöchern. Dagan (1989: 15) fand bei einem Steckkopf heraus, dass eine Verbindung zwischen Kopfloch und der tiefen Öffnung des linken Ohrs bestand, d.h. eine Flüssigkeit, die sie in die Kopfschale schüttete, trat am linken Ohr wieder heraus. Auch eine Verbindung zu den Nasenlöchern wird vermutet. Nach einer experimentellen Überprüfung durch Besitzer von Koma-Terrakotten, konnte das von Dagan beobachtete Phänomen jedoch durch keinen weiteren Beleg bestätigt werden. Es kann also durchaus auch Zufall sein, dass sich das tiefe Kopfloch mit einem Ohrloch im Inneren der Figur gekreuzt hat. Andererseits wäre das Anbringen von "Kanälen" innerhalb einer Figur für Westafrika nicht einmalig, wie die Querschnittszeichnungen der Kabye Figuren (Verdier 1981: 111-112) belegen. Hier führt die Vertiefung im Schädel weit ins Innere und verzweigt sich etwa in der Mitte der Figur in zwei Kanäle, die bis zur Basis führen. Die Kopfmulde (cavité de la tête) nimmt (als Opfergabe?) Milch auf. Bei den Songhye sind nach Hersak (2010: 42-44, Fig. 7-8) Figuren mit einem regelrechten inneren Kanalsystem ausgestattet, das Mund, Kopf- und Bauchhöhlung sowie den Anus miteinander verbindet.

Eine Interpretation der Schalenform mit Loch- bzw. Schlitzmarkierungen muss berücksichtigen, dass die gleichen Erscheinungen auch an anderen Stellen von anthropomorphen und zoomorphen Komaland-Figuren sowie bei einfachen Steckkegeln als wichtiges Detail auftreten. Auffällig ist das Vorkommen der Tonstreifen mit Schlitz/Loch in den weitgeöffneten Mündern der Figuren, die keine konkave Kopfform mit den entsprechenden Markierungen aufweisen. Im Mund kann das flache Tonstückchen natürlich leicht als Zunge, ein einfaches tiefes Loch in der Rachengegend als Kehle gedeutet werden.

Falls die Figuren, wie allgemein angenommen wird, übernatürliche, verehrungswürdige Wesen (Ahnen, Buschgeister usw.) darstellen, so werden sie auch, wie es in Westafrika bei allen mit einer Kraft versehenen oder mit spirituellen Wesen verbundenen materiellen Objekten ("Schreinen") der Fall ist, Opfer erhalten haben. Es ist davon auszugehen, dass alle "Schalen" der Terrakotten den gleichen Zweck haben, nämlich Opferspeisen aufzunehmen, um so wenigsten einen kleinen Teil

Abb. 63

 der Gaben eine Zeitlang bei oder in der Figur zu belassen (Kröger 1988: 134-35). Für diese These spricht die Gleichförmigkeit der Schalen und der Markierungsmerkmale und die Form und Ausrichtung der Münder in einer solchen Art, dass sie eine Bestückung mit Nahrungsmitteln leicht möglich machen.

Kegelförmige Tonobjekte ohne anthropomorphe Merkmale (Abb. 63) haben sich bisher allen Deutungsversuchen entzogen und erscheinen in Katalogen dann als "nicht identifiziertes... Objekt". Auch wenn sie hier als Träger einer Opferschale gedeutet werden, so bleiben wichtige Fragen unbeantwortet, z.B. ob sie einen selbständigen "Schrein" darstellten, oder ob sie nur Zubehör anderer Figuren waren. Als ein Argument zur ersten Vermutung gilt, dass die Kegel und Säulen wohl selbst als stark vereinfachte anthropomorphe Darstellungen aufgefasst wurden, denn der Übergang von einem Kegel oder einer Zylinderform zu einer Steckfigur bzw. zu einer Standfigur lässt sich durch zahlreiche Zwischenformen belegen (Abb. 64).

Abb. 64

 

Die abgebildeten Beispiele, die möglicherweise aus verschiedenen Zeitepochen stammen, sollen natürlich nicht als eine unilineare Entwicklungsreihe gelten, sondern nur mögliche Stufen zwischen den nicht-anthropomorphen und anthropomorphen Objekten aufzeigen.

Neben den Opferstellen im Schädel und im geöffneten Mund können bei den Komaland-Terrakotten Opferschalen auf Steckkegeln auch vor einer weiblichen Figur (aber als Teil der kompakten Gesamtmasse) stehen (Abb. 65-66).

Abb. 65 Abb. 66

In mündlichen Gesprächen mit Kennern der Koma-Terrakotten wurde mir gegenüber mehrmals die Vermutung geäußert, es könne sich bei den Abbildungen um Trommeln handeln. Es besteht in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit zu Zylindertrommeln oder den hier allerdings an falscher Stelle auftretenden Sanduhrtrommeln. Andererseits wäre es auffallend, dass sie nur vor weiblichen Figuren stehen. In Westafrika sind Trommler in der Regel männlich, in rituellen Ausnahmesituationen werden Trommeln jedoch auch von Frauen gespielt Bei den Bulsa wird zum Beispiel bei bestimmten Ritualen der Totenfeier eine große Zylindertrommel von einer Frau geschlagen. Gegen die Trommel-These spricht auch die Darstellung der oben beschriebenen einfachen Zylindertrommel, die vor einem Mann steht, keine Schale besitzt und auch in anderen Beziehungen zu den dargestellten Objekten vor Frauen abweicht.

Anquandah (1998: 94, Fig. 6.13) deutet solche Darstellungen mit Steckkegeln als Frauen vor ihren Mahlschalen, obwohl in seinen Abbildungen deutlich sichtbare Tonstreifen mit Löchern am Boden der Schalen sichtbar sind.

Eine einleuchtende Erklärung der Tonstreifen, Einschnitte und Löcher ist schwieriger zu erbringen. Falls ursprünglich die Beopferung nur im Mund stattfand, so ist es durchaus möglich, dass hier wirklich Zunge und Kehle dargestellt wurden. Diese Formelemente wären dann auf die Kopfschalen übertragen worden, wobei

Abb. 67

der Gedanke des Eindringens der Opferspeise in das Innere der Figur auch hier relevant war.

Neben den Opferstellen im Schädel, im Mund oder in außerhalb der Figur angebrachten Schalen gibt es vielleicht noch andere Möglichkeiten zur Aufnahme von Opfergaben. Einige wenige Terrakotta-Figuren weisen keine Schädelmulde und keinen geöffneten Mund auf. Dafür sind jedoch die inneren, vorgestreckten Handflächen schalenförmig ausgeformt und wären durchaus in der Lage, flüssige oder feste Opfergaben aufzunehmen. Solche Handschalen treten besonders häufig an anthropomorphen Gefäßen auf (Abb. 67).

Abb. 68 Abb. 69 Abb. 70

Ob es bei einigen wenigen Statuetten noch eine weitere mögliche Opferstelle gibt, ist zur Zeit noch zweifelhaft. Die Figur in Abb. 68 weist ebenfalls keinen geöffneten Mund und keine Schädelmulde auf. Statt dessen ist ihre quer liegende, überdimensional große Vagina fast schalenförmig geöffnet, um so vielleicht Libationen aufnehmen zu können (siehe auch Abb. 69 und 70). Wie bereits oben angedeutet, können die geöffneten weiblichen Genitalien einiger Mutter-Figuren eine ähnliche Funktion gehabt haben.

Eine Opferschale kann bei einem Objekt nicht nur verdoppelt werden, wie es zum Beispiel schon für die Steckkegel beschrieben wurde. Es können auch mehrere schalenähnliche Vertiefungen in einer keramischen Basis reihenhaft oder in unregelmäßiger Form angeordnet werden (Abb. 71).

 Eine gewissen Sicherheit, dass es sich in solchen Abbildungen um Opferschalen handelt, erhalten wir jedoch nur, wenn sich in den Schalen auch der Tonstreifen mit Loch oder Schlitz befindet. Rätselhaft bleiben keramische Objekte mit sehr vielen kleinen Einstichlöchern. Abb. 72 enthält zwar im Zentrum eine typische Opferschale mit großem Loch und Tonstreifen, ist aber von etwa 80 kleinen Löchern unbekannter Funktion umgeben.

Abb. 71 Abb. 72

 

 

 

Literatur

 

Anquandah, James and Laurent van Ham 1985

Discovering the Forgotten “Civilization” of Komaland, Northern Ghana. Rotterdam: Ralph Schuurman Productions.

 

Anquandah, James 1998

Koma Bulsa. Its Art and Archaeology. Rome: Istituto italiano per l'Africa e l'oriente Roma

 

Broggini, Filippo e Romano 1992

Per un' ulteriore interpretazione delle terracotte del Komaland (nord-Ghana). In: Dall' Archeologia all' Arte tradizionale Africana. pp. 51-63. Milano: Centro Studi Archeologia Africana.

 

Dagan, E.A. 1989

Spirits without boundaries / Les esprits sans frontière. Twenty-six Single Heads from Komaland, Ghana / Vingt-six statuettes de terre cuite à une tete de Komaland, Ghana. Montreal: Galerie Amrad.

 

Detavernier, Hervé 1990

Terres cuites Koma du Nord-Ghana. In: Arts d'Afrique noire 74, 17-27.

 

Hersak, Dunja 2010

Reviewing Power, Process, and Statement. The case of Songye Figures. African Arts, 43,2: 38-51.

 

Kröger, Franz 1988

“Die Terrakotta-Funde des Koma-Gebietes (Nordghana)”, Paideuma 34: 129–142.

 

Verdier, Raymond 1982

Le pays Kabiye, cité des dieux, cité des hommes. Paris: Edition Karthala.