III TEILELEMENTE DER FIGUREN



HAARTRACHT UND KOPFSCHMUCK (TAFEL/PLATE III)

 

Die Betrachter von Komaland-Figuren sind oftmals überfordert, wenn es gilt, Kopfbedeckungen, Haarfrisuren und Kopfschmuck als solche zu deuten und die Funktionen einzelner Elemente zu erkennen.

 

Das Stirnband

Eines der am häufigsten auftretenden Elemente von Kopfschmuck soll hier als Stirnband bezeichnet werden. Es besteht aus einem oder mehreren durchschnittlich 2-3 mm breiten Bändern mit vertikalen (Tafel III,1-3), schrägen oder querschraffierten Einritzungen. Das originäre Material der an den Terrakotten dargestellten Bänder konnte bisher noch nicht eindeutig bestimmt werden. Es könnte sich hier um Haarformen oder um Bänder aus Pflanzenfasern handeln.

Cocle bezeichnet diese Bänder als „eine Art Diadem”, das heißt also auch als eine Art Hoheitsemblem (1991: 146, Nr. 9). Insoll et al. vermuten bei der Beschreibung von zwei bärtigen Steckköpfen mit dem „Stirnband”, dass damit eine mützenähnliche Kopfbedeckung dargestellt ist (1913: 23).

Mehrere Faktoren sprechen aber dafür, dass es sich hier um Haarkränze oder -zöpfe handelt. Mit ihren Einritzungen ähneln sie in starkem Maße Mustern, wie wir sie auch bei Bartdarstellungen finden. Außerdem verlaufen die Bänder, wie man es eigentlich von einem Diadem oder einer Mütze erwartet, nicht immer ganz um den Kopf, sondern sie reichen in ihrem horizontalen Verlauf oft nur bis zu den Ohren, um dann senkrecht in einfacher oder doppelter Form bis zum Unterkiefer oder zum Bart herabzufallen (Tafel III,4 und 19).

Ein Blick auf alte und zeitgenössische Kulturen Westafrikas kann die Materialfrage auch nicht ganz klären. Bei den Terrakotten des Niger-Binnendeltas ist das Stirnband sehr selten. De Grunne (1980: 89) veröffentlichte jedoch eine Figur mit einem umlaufenden, schmalen Band mit Flechtstrukturen. Nach Schweeger-Hefel/Staude (1972:426f.) trugen früher die Jäger der Kurumba (Burkina Faso) eine diademartige Kopfbedeckung in Form eines Baumwollbandes. Im heutigen Nordghana sind Stirnbänder der beschriebenen Art nicht mehr üblich.

 

Sagittalkämme

Sagittale Kammfrisuren, auch Irokesenkämme und im Englischen „Mohican crests” genannt, kommen auch heute noch in der Sudanzone und der Sahara vor, sind aber oft auf Frauen und Kinder beschränkt. Bei den Komaland-Terrakotten treten sie jedoch vorwiegend bei männlichen Figuren auf. Die Flächen zu beiden Seiten des Kammes sind meistens völlig glatt dargestellt, sodass wir sie als Ausrasuren deuten können (Tafel III,6f.). Eine Kombination dieser Frisur mit einem Stirnband gibt es bei den Terrakotten ebenso wie im heutigen Sudan (Tafel III,1).

Fehlt ein Stirnband oder handelt es sich um eine Figur mit Schädelmulde, dann reicht das vordere Ende eines Sagittalband mitunter über die ganze Stirn bis auf die Nase (Abb. 14). Frisuren mit einem solchen Nasenzopf finden wir häufig in der Sahelzone und auch bei den kleinen hölzernen Puppen der Mossi und Kurumba. An den Terrakotten tritt der Sagittalkamm in vielen weiteren Variationsformen auf. So kann er aus mehreren Reihen bestehen (Tafel III,11) oder mit geflochtenen Zöpfen oder Kauris kombiniert sein (Tafel III,12-13).

Bei den heutigen Koma erfüllt diese Frisur eine rituelle Funktion im Mungo-Kult. Dem Initianden wird in einem abschließenden Ritual das Haar zu einem Sagittalkamm geschnitten, um so seine besondere rituelle Stellung auch für Außenstehende zu dokumentieren (Kröger und Baluri 2010: 224).

 

Andere Frisuren

Abb. 59

Die Terrakotten zeigen eine Vielfalt an Frisuren, die vielleicht sogar die Haarkunst der afrikanischen Frauen von heute übertrifft. Die Frisuren sind jedoch nicht geschlechtsspezifisch festgelegt. Stirnbänder, Sagittalformen und Ausrasuren kommen bei beiden Geschlechtern vor. Eine Frisur, bei der Haarbänder oder -zöpfe girlandenartig oder in Zickzacklinien um den Kopf gelegt sind, scheint jedoch nach vorliegendem Material vorwiegend bei Frauen vorzukommen (Tafel III,14 und 19). Bei einigen Figuren sind die Haare flächig durch eng beieinander liegende, parallele Muster dargestellt. Diese Muster wurden vielleicht durch ein kammartiges Werkzeug, längliche Stempel oder Roulettes (Abb. 59) angefertigt. Andere Haartrachten erinnern an moderne westafrikanische Frisuren. Für eine damals wie heute beliebte Frauenfrisur wird das Kopfhaar alle 2-3 cm gescheitelt und zu anliegenden Zöpfen verflochten. Diese Flechtreihen können parallel zur Sagittallinie (Tafel III,16), senkrecht (Tafel III,12) oder schräg (Tafel III,17) zu dieser verlaufen.

Die Gestaltungsmöglichkeiten von Flechtfrisuren in Verbindung mit Ausrasuren scheinen die Träger der Koma-Kultur voll ausgeschöpft zu haben, denn es treten mitunter auch ausgesprochen komplizierte, asymmetrische Formen auf (Tafel III,20). Ebenfalls an moderne Frisuren erinnern die Verflechtungen der Haare zu kleinen ballförmigen Gebilden, die über die Sagittallinie verlaufen (Tafel III,21), in einer quadratischen Vierergruppe in der Kopfmitte liegen (Tafel III,24) oder den Kopf flächenhaft überziehen.

 

Bärte (TAFEL/PLATE IV)

Von der schier unübersehbaren Zahl verschiedener Barttypen sollen hier nur einige erwähnt werden:

● In vielen Fällen wird ein Bart durch vertikal verlaufende, annähernd parallele Kerbrillen oder Ritzlinien gekennzeichnet (Tafel IV,2, 11-12).

● Besonders bei stärker rechteckig gestalteten Bärten findet man auch kreuzweise Schraffuren, Schachbrett- oder Fischgrätenmuster.

● Der Bart kann auch, ähnlich wie die Stirnbänder, nur aus einfachen oder mehrfachen Bändern bestehen, die mit Querstrichen ausgefüllt sind (Tafel IV,5). Ein solches Band kann sogar fast das ganze Gesicht einrahmen (Tafel IV,4), wobei unklar bleibt, ob hier ein Bart eingeschlossen ist.

● Der Bart besteht aus mehreren vertikalen, parallel verlaufenden und sich berührenden Bändern. Diese können an den Rändern des Bartes durch abweichende Muster oder durch spezielle Verflechtungen des Barthaares eine gewisse Einrahmung erhalten (Tafel IV,6).

Abb. 60  (F.M.)

● Andeutungen der Haare durch punktförmige oder längliche Einstiche, wie sie bei der Darstellung der Schamhaare häufig auftreten, sind auch bei Bärten anzutreffen (Tafel IV,7).

● Der spitze Bart (oder das Kinn?) besitzt eine einzige tiefe, vertikale Einritzung oder Einkerbung (Tafel IV,8).

● Bärte werden an Terrakotten durch vertikale Tonwülste abgebildet, die wohl Zöpfe oder Haarstränge darstellen (Tafel IV,9). Damit sich diese am unteren Ende nicht auflösen, können sie dort einen Abschluss in einer Perle oder Ähnlichem finden (Tafel IV,10).

● Die Barthaare sind ähnlich wie bei Frauenfrisuren im heutigen Westafrika zu kugelförmigen Gebilden verflochten (Abb. 60).

Die Vielfältigkeit der Bärte und ihre Ausgestaltung lassen vermuten, dass ein recht großer Aufwand für ihre Pflege und Formgebung investiert wurde. Einige Bartformen können wohl nur mit Hilfe einer klebenden und härtenden Substanz geformt worden sein (Tafel IV,11).

 

 

HÜTE UND MÜTZEN (TAFEL/PLATE IV)

 

Kalebassenhelme

Diese halbkugelförmige Kopfbedeckung ist eindeutig zu identifizieren, wenn ihre Ränder durch einen scharfen Absatz von der Kopfoberfläche abgesetzt sind. Mit einer glatten Oberfläche, mit Kaurischnecken (Tafel IV,13 und 15) oder einem sagittalen Kamm versehen (Tafel IV,14) entspricht diese Kopfbedeckung genau den Kalebassenhelmen, die man heute noch in Nordghana anfindet. Diese werden allerdings nur noch zu rituellen Anlässen, z.B. bei Kriegstänzen, getragen. Einige Exemplaren der Terrakottenhelme zeigen Lochmuster (Tafel IV,16). Diese Öffnungen ermöglichten vielleicht eine bessere Belüftung der Kopfhaut, aber sie dienten wahrscheinlich vor allem zur Befestigung von ausschmückenden Gegenständen, zum Beispiel Federn. Bei einigen Trägern von Kalebassenhelmen sieht man einen Kinnriemen, ohne dass eindeutig erkennbar wird, wie dieser Riemen an der Helmschale befestigt wurde (Tafel IV,14-15).

Obwohl heute der gehörnte Kriegshelm mit einer meistens geflochtenen Kalotte als typisch für die Ethnien Nordghanas gilt, wird doch der Kalebassenhelm als die älteste Form aller traditionellen Kopfbedeckungen angesehen.

 

Spitze Hüte

Abb. 61  (F.M.) Abb. 62  (F.M.)

Eine weitere Kopfbedeckung in Form eines oben mehr oder weniger abgeflachten oder abgerundeten Kegels setzt sich, ebenso wie der Kalebassenhut, klar von der Kopfoberfläche ab. Sie kann durch Rillenmuster (Tafel IV,17) oder Kaurischnecken (Abb. 61) verziert sein oder auch in einer stufenförmigen Anordnung auftreten (Tafel IV,18). Eine Zuschreibung zu einem bestimmten Geschlecht ist nicht erkennbar. Möglicherweise handelt es sich hier wenigstens zum Teil um Strohhüte, denn die Andeutung einer flächenhaften Flecht-Textur ist bei einigen Exemplaren (Abb. 62) erkennbar. Man könnte sogar auf eine Spiralwulsttechnik schließen, wie sie bei den Bulsa noch bei den Kriegshelmen und Hirtenstrohhüten angewendet wird. Aber auch die Möglichkeit, dass die spitzen Kopfbedeckungen Haartürme, eventuell mit eingeflochtenen Fremdkörpern, oder Kalebassenhüte aus länglichen Flaschenkürbissen abbilden, ist nicht auszuschließen.

 

 

SCHMUCK

 

Die überreiche Ausstattung der Komaland-Figuren mit Schmuckgegenständen aller Art – Fuß- und Armreifen, Halsketten, Anhänger, Kopfschmuck, Hüftketten usw. – gehört wohl zu ihren auffallendsten Kennzeichen. Das Bedürfnis des Menschen, den eigenen Körper durch Schmuck, Verzierungen und ausgesuchte Kleidungsstücke für andere Betrachter vorteilhaft hervorzuheben, ist eine allgemeinmenschliche Eigenschaft. Die Überladung des menschlichen Körpers mit wertvollen Schmuckobjekten, wie sie bei den Komaland-Figuren auftritt, kann jedoch nicht als typisch für einen bäuerlichen Durchschnittsmenschen dieser Kulturschicht angesehen werden. Schmuckgegenstände wurden früher zu einem außergewöhnlich hohen Preis gehandelt, vor allem im Vergleich zu Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Dingen. Metallene Ringe bezahlten die Bulsa noch vor hundert Jahren mit Rindern. Daher ist es wahrscheinlich, dass die Komaland-Figuren hohe und reiche Würdenträger oder Personen in politischen Machtpositionen darstellen. Dabei ist nicht geklärt, ob diese Würdezeichen sich auf den zu Lebzeiten eingenommenen Status beziehen oder auf ihre Macht als Ahnen oder überpersönliche Wesen. Für den letzteren Fall ist festzuhalten, dass die dargestellten Schmuckstücke der Komaland-Figuren in Form und Tragweise denen der menschlichen Träger dieser Kultur entsprachen. Hier dienten sie dem Bedürfnis sich zu schmücken und den eigenen Reichtum und sozialen Rang herauszustellen.

Von den Gepflogenheiten im heutigen Westafrika als Basis ausgehend kann angenommen werden, dass viele Schmuckstücke, vor allem Brustanhänger auch eine magisch-religiöse Funktion erfüllten.

 

 

BRUSTSCHMUCK UND ANHÄNGER (TAFEL/PLATE V)

 

Halsbänder

Am häufigsten findet man an den Figuren flache Halsbänder in einfacher, doppelter (TAFEL V,16), dreifacher (Tafel V,4) oder vierfacher Form, mit oder ohne zusätzliche Anhänger. Sie zeigen senkrecht zur Bandrichtung verlaufende, parallele Kerbmuster oder solche, die ein Flechtmuster oder eine Tordierung (Tafel V,17) andeuten könnten, wodurch sie den oben beschriebenen Stirnbändern ähneln. Auch Hals- und Brustbänder aus Perlen (Tafel V,1-2) oder Kauris sind nicht selten anzutreffen.

 

Ring- oder scheibenförmige Anhänger (TAFEL V)

Eine häufig bei den Komaland-Figuren anzutreffende Anhängerform besteht aus einem etwa armreifgroßen Ring, der an einem Band in Brusthöhe hängt. In der Mitte dieser Ring-Anhänger befindet sich häufig ein rundliches Element, das in der tönernen Darstellung oft keinerlei materielle Verbindung zum Ring zeigt. Es könnte sich dabei um die Darstellung einer Kaurischnecke (Tafel V,12), eines kleinen Buckels oder eines weit vorstehenden, zylindrischen oder konischen Objektes handeln (Tafel V,14).

Eine große Ähnlichkeit mit diesen Anhängern hat eine angeblich im Koma-Gebiet ausgegrabene Scheibe aus Kupfer oder Gelbmetall, die einen Buckel in der Mitte aufweist. Falls diese Scheibe wirklich der alten Komaland-Kultur entstammt, so könnte man annehmen, dass auch die meisten der anderen Anhänger (sowie die Arm- und Fußreifen) aus Metall gegossen waren.

Das Tragen eines ringförmigen Brustanhängers scheint den Männern vorbehalten gewesen zu sein, besonders häufig ist er bei Reiterfiguren anzutreffen. Große ringförmige Pektorale, wie sie bei den männlichen Komaland-Figuren dargestellt werden, sind im heutigen Nordghana nicht weit verbreitet.

 

Längliche Objekte

Auch längliche Anhängerformen zeigen sich bei den Komaland-Figuren in großer Vielfalt. Sie können in horizontaler oder vertikaler Lage in einfacher oder mehrfacher Form an einem Halsband hängen (Tafel V,15-16, 18-21) oder in dieses eingegliedert sein (Tafel V,17).

Bei den annähernd zylindrischen Anhängern könnte es sich um lediglich ästhetisch ansprechende Objekte handeln, wie z.B. um röhrenförmig-zylindrische Perlen. Parallele Erscheinungen bei anderen Ethnien Nordghanas lassen jedoch vermuten, dass auch hier magische Gegenstände dargestellt wurden, zum Beispiel Wurzelstücke, die heute noch bei den Bulsa häufig getragene Amulette sind. Sie werden nach heutigem Jargon oft als Juju oder Gris-gris bezeichnet, in den einheimischen Sprachen aber unter einem Begriff gefasst, der am ehesten mit „Medizin” übersetzt werden kann. „Medizin” kann fast alles sein, wenn es eine schützende oder heilende Kraft hat.

 

Tierhörner

Während schützende oder heilende Objekte fester Konsistenz direkt an einer Schnur um den Hals oder an der Hüftschnur getragen werden können, benötigen pulverförmige einen Behälter. Hierfür wird in den traditionellen Gesellschaften Nordghanas vorzugsweise ein Tierhorn benutzt, das an der Spitze durchbohrt und mit der Öffnung nach unten um den Hals gehängt wird. Als Verschluss dienen runde Kalebassen- oder Topfscherben, die als Ausgrabungsstücke in großer Zahl auch in der Ausstellung Fragmentary Ancestors (Manchester 2013) präsentiert wurden. Tierhörner sind nach unserer Deutung bei mehreren Komaland-Figuren als Anhänger zu sehen. Ihre Größe und Riefelung lassen vermuten, dass es sich hier um die Hörner kleiner Antilopenarten handelt. Meistens werden zwei Hörner am selben Halsband befestigt (Tafel V,22).

 

Mondamulette und ihre Kombinationsformen (TAFEL/PLATE VI)

Neben der Kaurischnecke, der eisernen Doppelspirale und einem in Leder gefassten Wurzelstück ist bei den Bulsa und anderen Ethnien Nordghanas die Mondsichel aus Eisen oder Gelbmetall am häufigsten als Amulett anzutreffen. Bei den Komaland-Terrakotten tritt es als Einzelamulett (Tafel VI,1), oftmals aber in Kombination mit anderen Formen auf (Tafel VI,2-7). Der über einer Mondsichel liegende, horizontale Querbalken (Tafel VI,4) erinnert an das oben beschriebene, längliche (Wurzel-) Amulett.

Ein Zusammenhang, der von Halbmonden bis zu den in Westafrika üblichen Flötenformen (Tafel VI,6) sowie anthropomorphen Darstellungen (Tafel VI,7) reicht, ließe sich folgendermaßen darstellen (Abb. 63):

Abb. 63   Beziehungen zwischen verschiedenen Anhängerformen

 

Für die meisten der hier abgebildeten Komaland-Anhängerformen lassen sich Entsprechungen mit einer gewissen Ähnlichkeit auch in anderen westafrikanischen Ethnien finden.

 

 

ARM- UND BEINREIFEN (TAFEL/PLATE VI)

 

Armreifen

Armreifen dienten wohl in erster Linie als Schmuck, aber sie konnten auch andere Funktionen erfüllen, zum Beispiel als magische Abwehrmittel gegen übernatürliche Gefahren und als Zeichen für einen bestimmten rituellen oder politischen Status. Außerdem kann der Oberarmreif „durch sein Gewicht der Kriegsaxt, Lanze oder Keule eine größere Schwungkraft verleihen”, wie es in der Literatur heißt (Kröger 2001: 503). Bei den Komaland-Terrakotten ist der Oberarmreif viel häufiger vertreten als bei den heutigen Bewohnern Nordghanas, wo er wohl durch das Vordringen der textilen Vollkleidung verdrängt wurde und nur noch vereinzelt, zum Beispiel bei Bestattungsfeiern, zu sehen ist.

Abb. 64  (F.M.)

Mitunter befinden sich an den Armen verschiedenartige Armreifen (Tafel VI,8), von denen die meisten einen runden oder D-förmigen Querschnitt haben und in den traditionellen Armreifen des Untersuchungsgebietes zahlreiche Entsprechungen finden. Es könnte sich um Metallreifen oder auch um die weit verbreiteten Stein-Oberarmreifen handeln, die bis vor etwa 100 Jahren in Nordghana aus einem nur in den Hombori-Bergen (Mali) abgebauten Marmor hergestellt wurden. Neben geschlossenen Armreifen kommen auch solche mit gut erkennbaren, schmalen Seitenöffnungen vor, welche durch tiefe senkrechte Einkerbungen angedeutet werden. Liegen mehrere Reifen eng nebeneinander, so wurde diese Einkerbung in einem Arbeitsgang in alle Reifen mit einem scharfen Werkzeug in den feuchten Ton eingedrückt (Abb. 64).

Mehrere, vor allem weiblicher Figuren tragen am linken Unterarm einen manschettenähnlichen Schmuck (Tafel VI,12-13; Abb. 64), wie er sonst nur am Bein, vor allem als Beinmanschette bei den Reiterfiguren, vorkommt. Den oberen Abschluss bildet ein recht dicker unverzierter Wulst, bei dem es sich auch um einen Armreif handeln könnte. Oft ist nicht genau erkennbar, ob am Unterarm mehrere Armreifen dicht nebeneinander liegen oder ob es sich um eine kompakte Armmanschette handelt.

 

Beinschmuck

Beinschmuck, zum Beispiel in Form von Ringen, ist bei den Komaland-Terrakotten nicht so häufig vertreten wie Armschmuck, übertrifft aber das Ausmaß des üblichen Beinschmucks der heutigen Bewohner Nordghanas. Die männlichen Komaland-Figuren tragen Beinringe und die unten beschriebenen Beinmanschetten etwa doppelt so häufig wie die weiblichen Figuren. Auffallend im Vergleich zum Armschmuck, bei dem allein schon ein Armdolch die Anordnung der Ringe beeinflusst, ist eine viel stärker beachtete Symmetrie in der Anordnung der Ringe und Manschetten an beiden Beinen (Tafel VI,14).

Die meisten Personen tragen je 1-3 gleichförmige Ringe an jedem Fußgelenk. Bei einigen Figuren liegt ein Schmuckband geschlossen über beide der dicht beieinander stehenden Fußgelenke oder Unterschenkel (Tafel VI,15), sodass der Eindruck einer Fesselung entstehen kann.

 

 

DER OBERARMDOLCH (TAFEL/PLATE VII)

 

Sicherlich haben die Menschen der Komaland-Kultur verschiedenartige Waffen gekannt und benutzt. Der Oberarmdolch ist jedoch die einzige an den Figuren dargestellte Angriffswaffe, die an den meisten Ganzkörperfiguren, besonders bei den Reitern, gut erkennbar ist (Tafel VII,1-5). Seine Befestigung am linken Oberarm ermöglichte es, ihn im Kampf leicht mit der rechten Hand zu ziehen und zu gebrauchen. Wenn einige Kriegerfiguren den Dolch am rechten Oberarm tragen, so stellen sie möglicherweise Linkshänder dar. Die letzte Vermutung könnte für die Annahme sprechen, dass hier historische Individuen dargestellt wurden.

Für das Oberarmmesser haben wir hier die Bezeichnung Dolch gewählt, weil es wohl, wie auch in moderneren Kulturen Westafrikas, vorwiegend als Waffe benutzt wurde. Dennoch weist Hahn (1991: 139) darauf hin, dass die Bassar (Togo) den Armdolch zwar vor allem als Waffe gebrauchen, gelegentlich aber auch zum Zerteilen eines erlegten Jagdtiers oder sogar für Leder- oder Schnitzarbeiten.

Der Oberarmdolch der Komaland-Kultur weist bei den meisten Figuren eine recht große Übereinstimmung seiner verschiedenen Merkmale auf. Griff und Klinge stehen in einem stumpfen Winkel von zwischen 140̊ und 170̊ zueinander. Dieser Knick läuft jedoch immer konform zur Winkelung des Armes, sodass auch eine herstellungstechnisch vereinfachende Parallelführung dieser Messerform entlang der Arme eine solche Gestaltung erklären könnte. Die Spitze des Dolchs zeigt immer nach unten und reicht manchmal bis zum Handrücken (Tafel VII,1).

In der Darstellung des Griffes und seines abschließenden Knaufs treten einige Varianten auf.

 

Abb. 65  Verschiedene Knauf- und Griffformen

 

Wie die Abbildungen zeigen, war der Griff meistens recht kurz und scheint zu den gewöhnlich sehr großen Händen der Tonfiguren nicht besonders gut zu passen. Eine Ausnahme bildet der überdimensionale, unhandliche Griff oder Knauf in einigen Abbildungen (Tafel VII,4)

Die Krieger-Terrakotten des Niger-Binnendeltas und auch die Dogon-Reiterskulpturen zeigen Messer, die dem Anschein nach mit einem Lederriemen oder Ähnlichem befestigt wurden. Demgegenüber steckt der Armdolch der Komaland-Terrakotten fast immer unter 2-7 runden, dicht beieinander liegenden Oberarmreifen.

Neben den hier beschriebenen Dolchen kommt vereinzelt eine längere, tordierte Form mit rundem Querschnitt vor (Tafel VII,6-7), wenn auch nicht gesichert ist, dass es sich hier überhaupt um einen Dolch handelt.

Das Armmesser wird in Westafrika nur von einer begrenzten Zahl ethnischer Gruppen gebraucht, die allerdings heute nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft der Terrakottafunde leben. Die Bulsa besitzen zwar einen Oberarmköcher, aber keinen Oberarmdolch.

Sture Lagercrantz (1950: 214) vermutet eine Ausbreitung der Armmesser, die im inneren Sudan, wahrscheinlich in der Tschad-Region, ihren Ausgang nahm und von dort durch Nigeria im französischen Sudan ihre Verbreitung fand, wobei die Fulbe (Fulani, Peul) eine bedeutende Rolle gespielt haben könnten. Lagercrantz liefert eine Verbreitungskarte der Armdolche, die er der jungsudanischen Kulturschicht zuschreibt (1937: 226). Danach befindet sich das Ausgrabungsgebiet der Komaland-Terrakotten im Bereich ihrer westlichen Verbreitungsgrenze. Als örtlich gesehen nächster Beleg für das Auftreten von Armdolchen wird Salaga, das alte Handelszentrum südlich des Koma-Gebietes, kartiert. Es wurde bereits in einer Veröffentlichung dargelegt (Kröger 1988: 140), dass vor dem Eintreffen der Briten eine Handelsroute vom Norden kommend über Kanjaga und Wiesi im Bulsagebiet durch das Komaland nach Daboya führte. Von dort bestand eine gute Verbindung nach Salaga, das vor einigen Jahrhunderten eine Drehscheibe des Nord-Süd-Handels war. Entlang dieser Handelsroute könnten auch Objekte der materiellen Kultur ihren Weg genommen haben.

 

 

SCHULTERSTÜCKE (TAFEL/PLATE VII, 8-12)

  

Abb. 66

Schwere Lasten werden in Westafrika gewöhnlich auf dem Kopf getragen, leichtere Gegenstände, wie zum Beispiel eine kurzstielige Hacke oder eine Axt legt man jedoch gerne über die linke Schulter. Auch ein buntes Frottierhandtuch zum Abwischen des Kopfschweißes, das schon fast zur Kleiderausstattung eines Mannes der Bulsa gehört, wird über die linke Schulter gelegt. Dieses Handtuch hat erst in jüngster Zeit ein Lammfell ersetzt, das auch links über der Schulter getragen wurde und demselben Zwecke diente.

Bei über 20 der untersuchten Komaland-Figuren beiderlei Geschlechts finden wir über der linken oder - viel seltener - rechten Schulter liegende Objekte, die besonders schwer zu identifizieren sind (Tafel VII, 8-12). Diese verschiedenartigen, wohl mehr oder weniger flexiblen Gegenstände könnten als das Lager einer Steinschleuder zu deuten sein, wie sie noch in neuerer Zeit, aus Pflanzenfasern geflochten, gebraucht wird. Das Schleuderband ist zumindest bei einer Figur auch zu erkennen (Abb. 66), bei anderen wird es stark verkürzt dargestellt. Heute benutzen vor allem jungen Burschen und Kinder die Schleuder dazu, Kühe in eine bestimmte Richtung zu dirigieren, Vögel aus den Hirsefeldern zu vertreiben und seltener zum Erlegen kleinerer Tiere (Kröger 2001: 314-15; 631-32). In früheren Zeiten war die Schleuder jedoch bei vielen Völkern auch eine Kampfwaffe.

 

   Abb. 67  Moderne Schleuder (Bulsa)

Abb. 68  Andere Lagerform einer Schleuder

 

 

GESCHLECHTSMERKMALE UND LENDENSCHURZE (TAFEL/PLATE VIII)

 

Die Komaland-Figuren sind – abgesehen von Lendenschurzen und dem oft große Flächen des Körpers abdeckenden Schmuck – unbekleidet dargestellt. Dennoch ist es nicht immer leicht, das Geschlecht zu bestimmen.

 

Der männliche Unterleib

Die Figuren sind am eindeutigsten durch einen Bart als männlich zu identifizieren. Die Abbildung von Brüsten sind für eine Geschlechterzuordnung dagegen weniger zuverlässig. Bei vielen männlichen Figuren werden die Brustwarzen durch zwei dünne, aufgelegte Tonscheiben markiert (Tafel VIII,12), bei anderen Bartträgern sind die Brüste fast in der gleichen Stärke ausmodelliert wie bei den weiblichen Figuren. Trotzdem wäre es hier wohl verfrüht, von hermaphroditischen Darstellungen zu sprechen, da auch bei anderen afrikanischen Skulpturen in Holz (z.B. bei denen der Lobi und Dogon) die männliche Brust stark herausgearbeitet wird, ohne damit eine Zweigeschlechtigkeit anzudeuten.

Die männlichen Figuren weisen gewöhnlich einen mehr oder weniger stark ausmodellierten Penis mit oder ohne Hoden auf. Nach Insoll et al. (2013: 33) ist eine deutliche Ausmodellierung des männlichen Gliedes typisch für Terrakotten aus Tando-Fagusa, während die in Yikpbango ausgegrabenen Figuren keine oder nur stark stilisierte Genitalien besitzen.

Meistens wird der Penis als zylindrischer, dem Unterleib anliegender, oft nach unten spitz zulaufender Körperteil (Tafel VIII,3) dargestellt, seltener als kurzer, aufgesetzter, stumpfwinkliger Kegel (Tafel VIII,16). An Figuren mit zylinderförmigem Rumpf, Einfüßern und Steckköpfen, bei denen man gar keine Andeutungen von Geschlechtsteilen vermutet, sind Penis und Hoden mitunter gleich unter dem Kinn aufmodelliert worden (Tafel VIII,5).

Die spitze Penisform lässt zunächst auf eine fehlende Zirkumzision schließen. In einer Darstellung ist jedoch deutlich die freistehende Eichel eines nicht erigierten Penis zu erkennen (T.VIII,9), sodass anzunehmen ist, dass dem Künstler die Beschneidung bekannt war.

Mitunter liegt die Hüftschnur über einem Teil des Penis, der zudem unten nicht spitz, sondern stark abgerundet dargestellt wird. Hiernach ist es möglich, dass seine Spitze unter die oberhalb liegende Hüftschnur gesteckt wurde (Tafel VIII,1 und 7), wie es nach Fotos von Rattray früher bei den Lobi üblich war (1932: nach S. 446, Abb. 115-116).

Bei einem kleinen Teil der männlichen Figuren werden die Hoden durch flache Tonscheiben oder ovale Formen angedeutet (Tafel VIII,1 und 2). Die Schambehaarung ist durch punktförmige oder längliche Einstiche wiedergegeben (Tafel VIII,3 und 9). Auch die Schurze der männlichen Figuren tragen zum Teil flächenhaft Einstichmuster, die sich hier auf die Haare eines Fells beziehen könnten (Tafel VIII,10).  

 

Der weibliche Unterleib

Abbildungen des weiblichen Unterleibs sind bei den Komaland-Terrakotten relativ einheitlich. Abgesehen von einigen kreisrunden oder halbkreisförmigen Schurzformen und der völlig unbedeckten Vagina in Mutterdarstellungen werden die Genitalien fast stets durch eine rechteckige oder nahezu quadratische Schamschürze verdeckt (Tafel VIII,17-22). Die nicht immer ganz regelmäßigen, vertikalen Einritzungen oder Einkerbungen lassen vermuten, dass die Schurze aus Pflanzenfasern, Gräsern oder Ähnlichem bestanden, die lose von der Hüftschnur aus herabfielen und nicht durch die Beine hindurch gezogen wurden.

Von der Hüftschnur fallen mitunter geflochtene Bänder oder Kauriketten zu beiden Seiten der Schurze in gleicher Länge wie diese herab (Tafel VIII,18-20). Bei den asymmetrisch an der linken Seite des Schurzes herabhängenden Bänder (Tafel VIII,17 und 22) könnte es sich um die beiden losen Enden der Hüftschnur handeln, die wohl auch dekorative Zwecke erfüllten.

 

 

4.  SCHLUSS

 

Die Komaland-Terrakotten begeistern Liebhaber afrikanischer Kunst und nicht nur sie. Die handwerkliche Perfektion ihrer Schöpfer und ihre freie künstlerische Kreativität beeindrucken auch dann, wenn über die Bedeutung dieser bemerkenswerten Objekte nur sehr wenig bekannt ist. Die bis in kleinste Details modellierten Figuren, die geheimnisvollen Janusgesichter und die unverwechselbaren Reiterfiguren bedienen vielleicht nicht unbedingt universelle Schönheitsideale, aber sie ziehen den Betrachter in ihren Bann und erzielen ihre Wirkung ganz individuell. Originell ausgearbeitete Tiermotive zeugen von Reduzierung auf das Wesentliche, guter Beobachtungsgabe und mitunter auch großer Liebe zum Detail.

Eine Betrachtungsweise, die fast ausschließlich die Ästhetik der Komaland-Terrakotten betont, ist manchen Ethnologen, Archäologen und Historikern suspekt. Es stört sie, wenn ein Exponat aus seinem kulturellen Umfeld entfernt wird, in einer ästhetisierenden Kunstlichtbeleuchtung eine eindrucksvoll überhöhte Wirkung erzielt und obendrein in der Beschriftung fast nichts über seine Bedeutung oder den kulturellen Kontext ausgesagt ist. Andererseits scheint es aber auch übertrieben, wenn Studenten der Ethnologie und Archäologie bei der Beschreibung und Analyse materieller Kultur von ihren Mentoren den Ratschlag erhalten, das Wort “Kunst” und Aussagen über den künstlerischen Wert eines Objektes ganz zu vermeiden.

Hauptsächlich wurden die Komaland-Terrakotten wohl zu einem religiösen Zweck hergestellt. Sie stellen wahrscheinlich als heilig angesehene, übernatürliche Wesen dar, und die meisten Figuren dienten vermutlich als Opferschreine. Zu diesem Zweck hätte auch eine einfache, kunstlose Darstellung gereicht, wie sie zum Beispiel in den Steckkegeln mit Opferschalen realisiert ist. Wenn zu dem gleichen Zweck eine detailliert ausmodellierte und mit reichem Schmuck versehene Ganzkörperfigur in würdevoller Körperhaltung geschaffen wurde, so spielten hier wohl nicht nur funktionale Beweggründe eine Rolle. Der Schöpfer wollte nicht ausschließlich ein für den religiösen Gebrauch geeignetes Objekt schaffen, sondern dieses auch ästhetisch schön und ausdrucksvoll herstellen, soweit dieses aufgrund seiner erlernten Fertigkeit und künstlerischen Begabung möglich war.

Über das kulturelle Umfeld der Komaland-Terrakotten ist bis heute nur sehr wenig bekannt. Daher ist auch bei der Beschreibung und Interpretation nur schwer zu entscheiden, welche Formen und Elemente der Figuren als künstlerischer Ausdruck, als realistische Wiedergabe der materiellen Umwelt oder als notwendiger Teil für den Gebrauch gewertet werden sollen. Alle Deutungen haben zurzeit noch einen stark spekulativen Charakter. Trotzdem gewähren die zum Teil über 800 Jahre alten Terrakotten einen Blick in die Vergangenheit Afrikas, da auf Grund scheinbar nebensächlicher Darstellungen am Körper der Figuren historisch relevante Rückschlüsse möglich sind.

Im wissenschaftlichen Diskurs zwischen ästhetisierender und rein wissenschaftlicher Erschließung erweisen sich beide Ansätze zur Behandlung der Komaland-Terrakotten als sinnvoll. Einerseits erscheint es unabdinglich, den hohen künstlerischen Wert der Komaland- Figuren zu verdeutlichen und zu würdigen. Andererseits war es ein Anliegen dieses Werkes, dem Kunstliebhaber ein besseres Verständnis der von ihm bewunderten Objekte zu vermitteln. Den aktiven Archäologen mag es aber Hypothesen liefern, die diese durch weitere Ausgrabungsergebnisse, neue Datierungen und Analysen ihrer ausgegrabenen Artefakte falsifizieren oder verifizieren können