Landbesitz und tengkuk
Wem gehört das Land, auf das die Bulsa Jahr für Jahr vor allem mit Hirsearten und Erdnüsse
anbauen? Den Bestellern der einzelnen Flurstücke (und in diesem Fall könnten es auch Frauen
sein)? Dem Gehöftherrn (yeri-nyono)? Den Ahnen (kpilima) in ihrer Gesamtheit? Dem Erdherrn
(teng-nyono)? Dem Geist des zentralen Erdheiligtums (tanggbain / teng) der Sektion? Dem
Dorfhäuptling (naab)?
In der Literatur werden für verschiedene Ethnien Nordghanas verschiedene Antworten gegeben. Für die Bulsa lässt sich die Frage wohl eindeutig beantworten. Das Land gehört der (männlichen) Person, die zum ersten Mal besitzloses Buschland okkupiert, gerodet und mit Feldfrüchten bebaut hat1. Da das Buschland nach meiner Kenntnis schon seit mehreren Generationen völlig aufgeteilt ist, kann heute nur ein Ahne Eigentümer eines Landstückes sein.
Das von den Ahnen erworbene Eigentum an Land war bis vor kurzem unveräußerlich, die Nachkommen des Landerwerbers bearbeiteten es nur im Nießbrauch. Sie durften es jedoch selbst Fremden, die nicht vom anzestralen Eigentümer abstammten, zum Gehöftbau und zur Feldbestellung überlassen, ohne dass die wahre Eigentümerschaft auch nach vielen Jahren in Frage gestellt werden konnte. Der Erdherr übt zwar, wie oben dargelegt, im Auftrag eines Erdheiligtums eine Aufsicht über das Land und seine Bewohner aus und soll bei jeder Landvergabe informiert werden, ist aber nicht Eigentümer des Landes. Ein Dorfhäuptling (naab) hatte früher keinerlei Befugnisse über das Land einer fremden Sektion oder Lineage2.
Der Idealfall, dass das Ahnenland nur und in seinem ganzen Ausmaß von den Nachkommen des Landokkupanten bewohnt und bebaut wird, tritt wohl kaum auf. Die Besitzverhältnisse innerhalb einer Sektion sind so komplex, dass sie leicht unüberschaubar würden, wenn nicht, gleichsam auch als sichtbare Ordnungsfaktoren, die Bewohner verschiedene Schreine (bogluta) errichtet hätten und die Landeigentümer und Nießbraucher durch jährlich stattfindende Opfer bestätigt würden. Da der aus Lehm erbaute Ahnenschrein stets im Besitz des ältesten lebenden männlichen Nachkommens der ältesten Generation ist und auch von diesem beopfert wird, muss mit der Anerkennung des Opferrechtes eines Mannes dieser auch als Besitzer der gleichzeitig vom Ahnen erworbenen Güter anerkannt werden. Hierzu gehören auch Grundstücke, die schon seit vielen Generationen von Mitgliedern einer anderen (Sub-) Lineage bewohnt und beackert werden. Letztere sind nicht zur Zahlung einer Pacht verpflichtet, sondern bekennen durch ein Opfer, das wenigstens einmal jährlich auf dem betroffenen Landstück stattfindet, dass sie oder einer ihrer direkten Vorfahren nicht Eigentümer ihres Landes sind. Die Opferstelle ist durch einen oder zwei halb in den Boden eingelassene Feldsteine aus der unmittelbaren Nachbarschaft des Standortes (nicht von einem tanggbain!) markiert. Sie befindet sich meistens in der Nähe des überlassenen Gehöfts und wird als tengkuk bezeichnet (teng ‘Erde, Land’). Die sprachliche Bedeutung von kuk konnte nicht ergründet werden. Zwei Informanten (aus Wiaga und Sandema) wollen es mit kuui ‘Ursprung, Anfang’ in Verbindung bringen. In Sandema hörte ich auch den Namen teng-kuui, der in Wiaga völlig unbekannt ist.
Nach Anamogsi hat jedes selbständige Gehöft ein tengkuk, da es bei der Gehöftgründung eine Rolle spielt, jedoch können mehrere miteinander verwandte Gehöfte zusammen demselben tengkuk opfern, wenn die Bauten auf dem Land desselben anzestralen Eigentümers stehen. Buschfelder oder andere Ackerstücke ohne Besiedlung haben nie ein tengkuk.
Schafsopfer an die zwei Steine eines tengkuk |
Opferer eines tengkuk ist immer der Nachkomme des anzestralen Landeigentümers, der auch im Besitz des betreffenden Ahnenschreins ist. In einigen Fällen kann dieses der Gehöftherr, der das Land bebaut, selbst sein, in anderen ein elder (kpagi) der eigenen Sektion, wieder in anderen Fällen sogar ein Mann aus einem anderen Dorf. Das Land des südlichen Teils von Wiaga-Badomsa gehört zum Beispiel der Sektion Gaadema des Bulsa-Dorfes Kadema.
Die Anlässe und die Art der Opfer an ein tengkuk können sehr unterschiedlich sein. Neben den regelmäßigen jährlichen Opfern, meistens in Verbindung mit dem Ernteopfer fiok, kann ein Wahrsager ein Opfer vorschreiben oder auf die Durchführung eines früher gemachten Versprechens (puulimka) drängen. Die sieben tengkuk-Opfer, an denen ich in Badomsa teilnehmen konnte, bestanden fast aus der ganzen Skala der möglichen Opfergaben: nur Hirsewasser (3x), ein Hahn (1x), drei Hühner und ein Hund mit sich anschließendem Opfer des Hirsebreis sa-gaung (1x), ein Huhn, eine Ziege und ein Schaf (1x), ein Huhn und ein Esel (1x).
Bei dem beobachteten Hundeopfer wurde das Tier nicht durch einen Kehlschnitt getötet, sondern durch Schläge mit einem schweren Holzhammer (guri). Ob hier wieder die Abneigung der Erde gegen ein Blutvergießen eine Rolle spielte, konnte nicht genau ergründet werden. In neuerer Zeit sollen mitunter Hunde auch durch Schächtung getötet werden. Donor alle Opfergaben ist stets der Nießbraucher des Landes. Er erhält von jedem Opfer ein Vorder- oder Hinterbein. Den Nachkommen des Landeigners, die auch das Opfer durchführen, steht ein Hinterbein (nang) zu.
Wiederum muss eingestanden werden, dass die hier aufgestellten traditionellen Regeln mitunter durchbrochen werden. So konnte ich in Wiaga-Badomsa an einem tengkuk-Opfer in dem Gehöft Akanming Yeri teilnehmen, das der greise Akanming selbst durchführte, obwohl er Angehöriger eines anderen Bulsa-Dorfes (Siniensi) ist. Vielleicht hat man ihm deshalb die Opfererlaubnis erteilt, weil für Akanming als allgemein bekannten Fremdling keine Gefahr bestand, dass er jemals selbst Anspruch auf das von ihm bewohnte und bebaute Land erhebt.
Wenn hier auch der tengkuk-Schrein eher eine Verbindung zu den landbesitzenden Ahnen als zu den tanggbana aufweist, so gibt es doch einige Kompetenzüberschneidungen. Es können zum Beispiel aufgelesene, streunende Tiere dem tanggbain der Sektion oder dem tengkuk des Gehöftes, bei dem sie gefunden wurden, geopfert werden. Das tengkuk oder auch das teng-biik in der Astgabel müssen immer Empfänger sein, wenn das tanggbain die aufgefundenen Tiere verschmäht (z.B. Esel und Hunde).
Fortsetzung: Der Erdherr (teng nyono)...
Endnoten
1Vgl. Tengan (1989: 81) für die Sisala: „...ownership of the land is determined by the principle of first occupancy."
2
Vgl. die Neuerungen der letzten Jahre, wie sie unten im Kapitel über den Erdherrn (Abschnitt 6) dargestellt werden.