Der Regenschrein (ngmoruk)

 

Für ein Bauernvolk wie die Bulsa ist nicht nur die Menge der Niederschläge in der Regenzeit von lebenswichtiger Bedeutung, auch die Verteilung gerade der ersten Regenschauer nach der Hirseeinsaat hat einen entscheidenden Einfluss für die Getreideversorgung eines ganzen Gehöftes und konnte früher in Extremfällen die Existenz seiner Bewohner gefährden. So ist es nicht verwunderlich, dass der Hirsebauer auf mehrfachen Wegen versucht sich rituell abzusichern und eine schnelle Aufeinanderfolge der Regenschauer nach dem individuell festgelegten Zeitpunkt der Einsaat zu erzwingen. Drei übernatürliche Instanzen bieten ihm hierbei Hilfe an:

das (teng-) tanggbain seiner eigenen Lineage

der ngmoruk-Regenschrein. Von ihm gibt es in jedem Dorf nur einen einzigen. jedoch hat in Wiaga-Yimonsa ein verwandtes Nachbargehöft so etwas wie einen Ableger (secondary shrine) wie der vom gleichen Ahnen erworbene Hauptschrein in Anankansa Yeri.  Ngmoruk (Regen, Blitz, Donner) wird auch als nam-pang (<Naawen pagrim), d.h. ‘Macht des Himmelsgottes’ bezeichnet und so eindeutig mit dem Himmel, nicht mir der Erde assoziiert. Während jedoch die Bulsa an einen Himmelsgott glauben, werden in den jeweiligen Regenschreinen selbständige, voneinander unabhängige Wesen verehrt.

der ngiak oder tongnaab genannte Schrein der Tallensi, von dem viele Bulsa-Gehöfte eine Art „Ableger” besitzen, der im März/April eines jeden Jahres von einer herumreisenden Tallensi-Gruppe beopfert wird (s.u.). Man sagt, dass gleich nach dem Abzug der Tallensi-Gruppe die ersten Regenschauer einsetzen.

Offensichtlich besteht zwischen den Geistwesen der drei Schreinarten und ihren Opferern in vielen - aber nicht in allen Fällen - so etwas wie ein Konkurrenzverhältnis. In Wiaga hat Yimonsa, die Sektion, in der sich das Gehöft Anankansa Yeri mit dem Regenschrein für ganz Wiaga befindet, als einzige kein tanggbain. Man opfert jedoch dem Longsa-tanggbain Daluk, von dem sich auch einige mit Erde gefüllte teng-Hörner in Anankansa Yeri befinden. Sie dürfen jedoch nicht bei Opfern an den ngmoruk-Schrein getragen werden.

Auch gibt es in Wiaga-Yimonsa kein Gehöft, das von einer Tallensi-Gruppe aufgesucht wird. Kobdem, die Regenschrein-Sektion Sandemas, empfängt ebenfalls keine Tallensi-Gruppen und hat kein einziges tanggbain, wohl aber einen teng-nyono und drei tengsa.

In Sandema-Kobdem steht der Regenschrein auf einem guuk, dem Wüstungshügel eines früheren Gehöfts, neben einigen alten Ahnenschreinen. Über dem Regenschrein hat man eine Hütte gebaut, wahrscheinlich um seine Berührung mit Regenwasser zu vermeiden, wie man in dem Gehöft Naakpa Yeri (Gbedema) die Abschirmung des Regenschreins mir gegenüber begründete. Die Hütte selbst durfte ich in Awaribe Yeri (Sandema-Kobdem) nicht betreten, und auch über das Aussehen des Regenschreins wollte man mir aus Angst vor Sanktionen seines übernatürlichen Bewohners keine Auskunft geben.

Der Regenschrein von Wiaga-Yimonsa

Daher soll hier der ngmoruk-Schrein Wiagas von Yimonsa näher beschrieben werden. Es ist ein Medizinschrein (tibiik),  der aus einer Wurzelmedizin und einer großen Kalebassenschale, gefüllt mit Schädelknochen geopferter Tiere, besteht. Auch dieser Schrein steht, ebenso wie in Kobdem, in einem Rundhaus, das sich hier jedoch im Wohnteil des Gehöftes befindet, und auch hier darf der Schrein nicht von Regenwasser benetzt werden. Seine Opfertiere, vor allem Hühner und Schafe, sollen weiß sein. Ziegen, Hunde und Esel sind nicht erlaubt, Perlhühner opfert man nur sehr selten. Da der Schrein für Regenwasser zuständig ist, darf ihm als Trankopfer kein Hirsewasser (zu-nyiam) oder Hirsebier (daam), sondern nur klares Wasser geopfert werden. In der Dürrezeit wird ihm nur trockenes Hirsemehl dargebracht. Treten die Niederschläge später zu reichlich auf, so wird ihm eine übergroße Menge Wassers geopfert und gleichzeitig in den Invokationen eine Reduzierung der Niederschläge erbeten. Vor einem jeden Opfer wird der Ahne (Anankansa), der den Regenschrein erworben hat, durch ein Opfer informiert.

Im Viehhof von Anankansa Yeri befindet sich ein Loch, das nie zugeschüttet wird. In ihm sammelt sich das Regenwasser, und der Wasserstand sagt etwas über die gefallenen Niederschlagsmengen aus. Ist das Loch gefüllt, so ist das Soll an Niederschlag erreicht, die Bitte der Opfernden wurde erfüllt.

Der Regenschrein von Anankansa Yeri verbietet seinen Hausbewohnern den Genuss alkoholischer Getränke. Man sagte mir jedoch, dass man dieses Tabu heute nicht mehr strikt einhält. Früher hat der Schrein angeblich seinem Opferer übernatürliche Fähigkeiten verliehen. Ein von ihm eingepflanztes Kalebassen-Saatkorn entwickelte sich im Laufe eines Tages zu einer vollständigen Pflanze. Diese Fähigkeit ist bei dem heutigen Opferer nicht mehr vorhanden.

Wenn auch der Regenschrein von Yimonsa für ganz Wiaga zuständig ist, so können doch bestimmte Sektionen, mit denen Yimonsa in Feindschaft lebt, von den Niederschlägen ausgeschlossen werden.

Stirbt in Wiaga jemand durch Blitzschlag, so sind es ebenfalls die Bewohner von Anankansa Yeri, die in dieser Eigenschaft auch als ngmoruk-bisa, ‘Kinder des Blitzes’ bezeichnet werden, zuständig für die sich anschließende Behandlung. Mein Helfer Yaw Williams konnte mir einen genauen Bericht über ihre rituelle Tätigkeit geben, da vor einigen Jahren eine Person aus seinem väterlichen Gehöft durch Blitzschlag getötet wurde. Vor dem Einsatz der Riten durfte keiner den Toten berühren, und seine Schlafmatte darf auch später nicht zu den anderen Totenmatten gestellt werden. Alle Hausbewohner, die zur Zeit des Blitzschlags nicht im Gehöft waren, durften dieses bis zum Eintreffen der Yimonsa-Gruppe nicht mehr betreten. Der Leiter dieser Gruppe besprenkelte (miisi) den Toten, seine Kleidung, sein Zimmer usw. mit einer flüssigen Medizin. Alle so behandelten beweglichen Güter wurden Eigentum des Blitzschlag-Spezialisten. Danach konnte die Leiche begraben werden. Da der Tod durch Blitzschlag ein „böser Tod” (kum-biok) ist, sollen Angehörige und Anwesende möglichst kein Zeichen der Trauer äußern.

 

Fortsetzung: Der ngiak-Schrein und die Tallensi-Opfergruppen