Kategorien tanggbain-Opfer und Rituale

 

Auch unter emischen Gesichtspunkten lassen sich Opfer an ein tanggbain in verschiedene Kategorien gliedern. In der Praxis kann jedoch ein Opfer mehrere der hier aufgeführten Kategorien, die auf verschiedenen gedanklichen Ebenen liegen, enthalten.

Teng-joka (wörtlich: ‘Betreten des teng’) ist die allgemeinste Bezeichnung für ein tanggbain-Opfer. Hierzu gehören Opferhandlungen, die z.B. ein Wahrsager zur Sühne für eine Schuld oder als Bitte in einer Notsituation verschrieben hat. Nicht zu diesem Typ gehören heimliche, meistens nächtliche, auf Schaden anderer ausgerichteten „Opfer” oder Opferversprechungen ohne Anwesenheit und Kenntnis des Erdherrn.

Manche tanggbain-Opfer erhalten nach einem der oben aufgeführten Teilrituale ihren Namen, da sie oft der eigentliche Anlass des Opfers sind: teng-nyuka-kaabka (Erdtrinkopfer), nying-lagsika-kaabka (wörtlich: ‘Opfer des Beschmierens des Körpers’) oder teng-bage-kaabka (teng-Horn-Opfer).

Die Opferform des teng-puulimka (wörtlich: ‘Gelübde des Teng’, d.h. Einlösen eines früher gemachten Gelübdes) spielt im ganzen Bulsaland und darüber hinaus ein große Rolle. Ein junger Mann, der eine Frau sucht, eine Frau, die keine Kinder bekommt, ein Familienvater, in dessen Familie es eine schwere Krankheit gibt, ein Schulabsolvent, der eine Arbeit in Südghana sucht, die kpaga (elders) von Badomsa und Kubelinsa, die bei einer Dürre Regen erflehen, sie alle gehen mit einen Hühnchen zum tanggbain und versprechen ihm ein dung (Ziege, Schaf oder Kuh), falls ihre Bitte erfüllt wird.

Der Name des teng-buntuem-duenka-kaabka (wörtlich ‘Opfer des Niederlegens von Asche am Teng’) bedarf einer Erklärung. Asche ist nicht nur bei den Bulsa ein Symbol für Abkühlung, Schlichtung, Versöhnung und Besänftigung (vgl. Meier 1993b: 107-126; Schott 1981: 189; Kröger 1978: 335). Der Buli Name des Rituals beschreibt jedoch nicht die reale Aktivität, d.h. es wird (wenigstens heutzutage) keine Asche am tanggbain niedergelegt. Vielmehr versucht eine Person, die in einer Notlage ein Säugetier (dung) versprochen hat und nach Erfüllung ihres Wunsches nicht in der Lage ist, dieses Opfer ausführen zu lassen, das tanggbain mit Hirsewasser und einem Huhnopfer zu besänftigen und das gegebene Versprechen zu erneuern.

Veranlasst jemand am tanggbain die Bestrafung eines Übeltäters oder auch seines persönlichen Feindes, und der Übeltäter gesteht seine Schuld ein, oder es kommt eine Versöhnung mit dem Feind zustande, so ist damit der Auftrag an das tanggbain noch nicht erloschen, sondern muss durch ein noai-paka-kaabka (wörtlich ‘Opfer zum Hinwegnehmen des teng-Fluchs’) getilgt werden. Diese Art ist von dem tanggbain-saalimka-Opfer zu unterscheiden, bei dem eine böse Tat gesühnt wird.

Während nur der teng-nyono als Offiziant bzw. ein jüngeres Familienmitglied als nyiam-tieroa einem (teng-) tanggbain opfern kann, ist es nach einem teng-ngarika-kaabka (wörtlich: ‘Opfer des teng-Holens’) möglich, einen ‘Ableger’ (teng-biik) des Erdheiligtums in Form eines Steins in ein Gehöft zu holen, wo diesem sekundären Schrein fortan der Gehöftherr Opfer darbringen kann. Der Stein, von der Größe einer Erbse bis hin zu der eines Fußballs, kann entweder in einem Ahnenraum (dalong) aufbewahrt werden, oder man legt ihn in eine im Boden befestigte Dreiastgabel (chagsa) gleich am Eingang des Gehöfts. Hier übernimmt er unter dem Namen

Limsiroa mit Pung Muning Stein am Gehöfteingang

limsiroa (engl. ‘watchman’) eine Wächterfunktion. Bei allen Opfern an die Schreine des Gehöfts, z.B. vor der Einsaat oder vor der ersten Ernte, erhält der Ableger des großen tanggbain seinen Anteil (s. Kröger 1986). Das tanggbain selbst erhält sein Ernteopfer (teng-fiok-kaabka) gewöhnlich an einem anderen Tag.

Der inzwischen verstorbene Wahrsager Akanming verwahrte in seinem Ahnenraum (dayiik) eine Kalebassenschale mit einem kleinen, wallnussgroßen Lateritstein (tan-muning) und roter Erde vom tanggbain Pung Muning. In der Kalebasse befand sich auch - aus einem Zweig hergestellt - ein Miniatur-Holzhammer (guri), wie man sie neben der Opferstelle zahlreicher tanggbana (aber nicht auf Pung Muning) sieht. Das tanggbain sollte mit dem Holzhammer seine und des Opferers Feinde erschlagen. Bei Ernteopfern oder nach den Anweisungen eines anderen Wahrsagers stellte Akanming die tanggbain-Kalebasse in den mit Mosaikscherben markierten Kreis in der Mitte seines Innenhofes und opferte ihr.

Akanmings teng-Hörner und der Miniturhammer

Bevor ein Bulo (Sing. von Bulsa) eine längere Reise, z.B. nach Südghana oder ins Ausland antritt, müssen die wichtigsten Ahnen im so genannte Reiseopfer (chelim-kaabka) informiert werden. Ein tanggbain-chelim-kaabka ist nur notwendig, wenn die betreffende Person für viele Jahre oder für immer auswandern will.

Die verschiedenen Arten und der Ablauf eines segrika-Opfers wurden bereits an anderer Stelle (Kröger 1978: 65-82) beschrieben. Die Übersetzung von segrika mit Namensgebung ist nicht ganz zutreffend. Es ist richtig, dass in diesem Ritual ein Kind einen offiziellen Buli Namen erhält, die Namensgebung findet aber eher beiläufig am Ende der Ritualhandlungen statt. Zentrales Anliegen einer segrika ist es vielmehr, dem durch einen Wahrsager geäußerten Wunsch einer übernatürlichen Macht nachzukommen und ein Kind ganz unter den Schutz dieser Macht zu stellen. Das segrika-Ritual, sei es nun die Darbringung des Kindes an einen Ahnen / eine

Segrika: Das Kind wird auf den Opferstein gesetzt

Ahnin (kpilima-segrika), an einen Medizinschrein (tiim-segrika) oder an ein Erdheiligtum (teng-segrika), ist immer mit einem Opfer an die schützende Macht (segi) verbunden. Nachdem das Blut eines Huhns über den Opferstein geflossen ist, setzt der Opferer das Kind mit dem nackten Gesäß auf den blutbenetzen Stein, um es so dem göttlichen Schutzgeist, in unserem Zusammenhang dem tanggbain, darzubringen. Danach erhält das Kind sein mit Erde gefülltes teng-Horn, das vorher mit Hirsewasser und Tierblut beopfert wurde. Das Kind soll dieses Horn fortan eigentlich immer tragen, in der Praxis geschieht dies heute jedoch oft nur noch bei religiöser Ritualen, unbedingt erforderlich ist es bei Opfern an das segi-Erdheiligtum.

Wie bereits dargestellt, kann es zwischen Menschen und einem tanggbain unterschiedliche und verschieden starke Bindungen geben, z.B. durch die bloße Zugehörigkeit zu seinem Sprengel, der Einverleibung von heiliger Erde im teng-nyuka-Ritual, Erdbemalung (lagsika) und eine einfache Hornverleihung. Abgesehen von der Bindung des teng-nyono an sein tanggbain oder teng, ist die durch eine segrika geschaffene Beziehung die engste und gleichzeitig die gefährlichste. Man erwartet von Schützlingen, dass sie an jedem Opfer ihres Schutzgeistes teilnehmen. Dafür können sie auch die besondere Gunst ihres segi in Anspruch nehmen. Andererseits sind sie auch als erste dem Zorn des Erdheiligtums ausgesetzt, auch wenn nicht sie selbst, sondern ein naher Verwandter für die Erzürnung des tanggbain, zum Beispiel durch Brechen eines strengen Tabus, verantwortlich war.

In den 1970er Jahren ging ein alter Mann ohne Kenntnis des Erdherrn zu einem tanggbain und versprach diesem ein dung (Ziege, Schaf, Rind), falls es ihn selbst reich macht, andere Menschen seiner Lineage aber mit Unheil überschüttet. Kurz darauf starb der alte Mann. Ein Wahrsager fand heraus, dass dem tanggbain dieses Versprechen (puulimka) missfallen hatte und es für den Tod verantwortlich war. Da das Gelübde aber noch nicht rituell aufgehoben war, befanden sich alle Mitglieder der Familie des alten Mannes, die das betreffende tanggbain ihr segi nannten, so lange in Gefahr, bis das Versprechen durch die Opferung einer Kuh zurückgenommen worden war.

Der Name, den das Kind am Ende der segi-Opferhandlungen erhält, kann die Verbindung des Namensträgers zum tanggbain oder der mit ihm assoziierten einer seiner Erscheinungsform (Fels, Baum, Hain, Fluss) widerspiegeln: Ateng (für ein männliches Kind), Atenglie (für ein weibliches Kind), Atengkperik (‘übernatürliche Erde’), Atengkpiik (‘tote Erde’), Atengchang (‘fremde Erde’), Azagsuk (Name des berühmten Erdheiligtums von Sandema-Fiisa), Abuluk (Name des tanggbain von Wiaga-Bachinsa), Apung (wörtlich ‘Fels’; nach einem Fels-tanggbain benannt, z.B. Pung Muning), Akingkalie (‘Tochter des Feigenbaums’), Agaab (‘Ebenholz- Baum’).

 

Fortsetzung: Tabus