Franz Kröger


ERDKULT UND ERDHERREN BEI DEN BULSA

 

Die Erforschung der westafrikanischen Erdkulte, die Bedeutung der über das Land verstreuten und von chthonischen Geistern bewohnten Heiligtümer sowie der Stellung des Erdherren1 in den traditionellen Gesellschaftsformen Westafrikas scheint im Vergleich zu anderen religionsethnologischen Themen (z.B. Ahnenkult, Hochgottglaube, Divination) nach meinen Erfahrungen mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden zu sein. Auch ethnographische Werke, die sich speziell mit westafrikanischen Religionen befassen, enthalten oft nur wenige Sätze über den Erdkult und die Opferer der Erdheiligtümer. Hinzu kommt, dass selbst Daten für einer Einzelethnie im Raum Nordghana, das in den frühen ethnographischen Publikationen als eine kulturelle Einheit angesehen wurde, nicht ohne weitere Überprüfungen im Feld unmodifiziert auf eine andere ethnische Gruppe dieser Region übertragbar sind. Aussagen wie die, dass stets nur die autochthone Bevölkerungsschicht bzw. die älteste Lineage eines Dorfes dem Erdheiligtum opfert oder dass der Erdherr vor dem Beginn der Kolonialherrschaft eine „häuptlingsähnliche Stellung” hatte, treffen für die von mir Im Dorfe Wiaga untersuchten Bulsa2 in dieser Form nicht zu. Allerdings scheinen recht große Unterschiede innerhalb der untersuchten Ethnie, vor allem zwischen den so genannten Nordbulsa (Sandema, Wiaga u.a.) und den Südbulsa (Fumbisi, Kanjaga, Gbedema u.a.) zu bestehen.

Eine Quelle von Missverständnissen bieten auch oft die vernakulären Bezeichnungen für die Begriffe Erde, Erdheiligtum und Erdherr. In der Oti-Volta-Untergruppe der Gur-Sprachen (in Nordghana, Burkina Faso und angrenzenden Gebieten) enthalten die Namen für Erde meistens eine Sprachwurzel *tvn (t +Vokal +Nasal), die sich bei den verschiedenen Ethnien z.B. als teng (Buli), ténga (Mole), tànne (Mampruli), tèn (Taleŋ), təŋ (Kusal)3 usw. realisiert. Dieses Lexem ist jedoch bei wohl allen Ethnien mit einer ausgeprägten Polysemie verbunden. In Buli, der Sprache der Bulsa, bedeutet teng „Erde, Boden, Stadt, Land (auch im staatlichen Sinne), Welt, höchste Form eines Erdheiligtums, kleiner ‘Ableger’ (bogluk geli oder bogluk fiik) eines Erdheiligtums in den Gehöften usw.” (Kröger: 1992). Ein Erdherr wird in Buli als teng-nyono (nyono, ‘Besitzer’, ‘Eigentümer’, ‘Verwalter’) bezeichnet. Der naheliegenden Deutung, diesen Begriff als “Landbesitzer”, d.h. als Besitzer des Bodens eines Ritualbezirks („Sprengels”), zu deuten, stimmten meine Erdherren-Informanten nicht zu. Teng-nyono soll vielmehr ausdrücken, dass der Namensträger in erster Linie zuständig für ein Erdheiligtum ist, das die unten beschriebene Qualifikation eines teng hat. Auch die bei den Bulsa mitunter gehörte Redensart „Teng ale Wen maa fu!” (Teng und der Himmelsgott mögen dir helfen!) führt leicht zu dem Fehlschluss, dass hier parallel zum Begriff wen, der sich auf den Himmel und den Himmelsgott bezieht, auch teng für die gesamte göttlich gedachte Erde steht. Der Satz des Bulsa-Sprechers drückt jedoch nach meinen Informationen eher aus, dass er z.B. einem Gast den Schutz Gottes und des für seine Sektion zuständigen teng (wohnhaft in einem Fels, Baum, einem Stein auf ebener Erde usw.) wünscht.

Große Schwierigkeiten bereitet auch die Differenzierung von teng und tanggbain, den Namen für Erdheiligtümer außerhalb der Gehöfte. Manche Bulsa-Sektionen4 oder Subsektionen (z.B. Sandema-Yongsa, Sandema-Kobdem, Wiaga-Tandem-Kpalinsa, Wabilinsa-Awennoai-Yeri, Chandonsa-AzewenYeri, Guuta-Tampolinsa-Ayambula-bisa u.a.) besitzen überhaupt kein tanggbain, sondern nur ein teng, das von ihrem teng-nyono beopfert wird. In anderen Sektionen (z.B. Wiaga-Chiok) gibt es eine ganze Reihe tanggbana (Pl. von tanggbain), die jedoch keinen „teng-Status”5 haben. Folglich finden wir hier auch keinen Opferer mit dem Titel teng-nyono. Manche Sektionen Wiagas (z.B. Goldem, Tankansa, Zamsa, Zuedema, Baandem Chantiinsa, Kpaandem u.a.) opfern sowohl einem tanggbain als auch einem teng, die beide von dem gleichen Mann, dem teng-nyono, Opfer erhalten. Die meisten untersuchten Gruppen Wiagas besitzen ein tanggbain, das gleichzeitig teng-Status hat und für das auch ein teng-nyono zuständig ist (z.B. Farinsa, Bachinsa, Badomsa u.a.). Eine Sektion kann auch weder ein eigenes teng noch tanggbain besitzen. Der Großteil von Kubelinsa opfert dem Badomsa-tanggbain Pung Muning, während ganz Yimonsa das Longsa tanggbain Daluk für Opferungen aufsucht. Der Erdherr von Longsa bezeichnet sich daher auch als teng-nyono von Longsa und Yimonsa.

Unter dieser Sachlage wird es schwierig, die Begriffe teng und tanggbain in ihrer Bedeutung für den Erdkult zu differenzieren. Zunächst fallen die Gemeinsamkeiten auf. Beide Wörter bezeichnen sowohl die Geistwesen als auch die Orte, an denen diese sich gewöhnlich aufhalten (z.B. Fels, Baum, Fluss).

Beide Wesen üben einen Einfluss auf die Bewohner ihres Ritualbezirks aus. Sie können ihnen Wohlstand verschaffen oder sie bestrafen. Auch nehmen sie untereinander Kontakte auf, ohne ihren Opferplatz dabei zu verlassen (Der Erdherr Anamogsi verglich diese Kontakte mit einem Telephonanruf). Hierbei scheinen die tanggbana einen stärker dynamischen Charakter zu haben als die tengsa, wenn beide in der gleichen Sektion vorhanden sind. Mitunter hörte ich von Erdherren mit einem teng und separaten tanggbain in ihrem Bezirk, dass man bei Verdacht von Hexerei in der eigenen Gruppe dem teng opfert, das daraufhin dem tanggbain Mitteilung über die Probleme der Opfernden macht. Die Ausführung der Strafe, hier die Tötung der Hexe oder des Hexers, obliegt jedoch ausschließlich dem tanggbain, das zuweilen vorher nicht einmal eigenständigen Opfer erhalten hat, sondern nur spirituell an den Gaben des teng partizipierte.

Über die Verteilung der Macht (pagrim) von teng und tanggbain gibt es keine Zweifel. Das teng ist stets stärker und für wichtigere Angelegenheit zuständig.

Als Begründung für die größere Macht des teng sagten mir Erdherren, dass das tanggbain ja auf dem teng (hier wieder stärker in der Bedeutung „Land”) steht oder dass das teng das tanggbain besitzt (hier kann allerdings auch die Gleichsetzung des Urahnen mit dem teng eine Rolle spielen). In einigen Sektionen mit beiden Schreinen dürfen außerdem bestimmte Rituale (z.B. Opfer streunender Tiere, Ordal des Erdtrinkens zur Bloßstellung eines Hexers) nur am teng, nicht am tanggbain ausgeübt werden.

Neben der größeren Macht im Vergleich zum tanggbain tritt die engere Assoziation des teng zum Land oder Erdboden in einigen Interviews und Erscheinungen klar zutage. Während den stärker vermenschlichten tanggbana häufig ein bestimmtes Geschlecht zugeschrieben wird, behauptet zum Beispiel der Erdherr von Chantiinsa, dass tengsa (Pl.) nie ein Geschlecht haben. Allerdings schreiben einige Informanten dem tanggbain die Rolle einer Gattin des teng zu, aber eher, um hierdurch die unterschiedliche Machtverteilung auszudrücken. Assoziationen mit der Fruchtbarkeit des Landes als Folge einer sexuellen Vereinigung der beiden Partner bestehen nicht.

Auch einige teng-Opferstellen zeigen eine enge Verbindung zum Land. Bei sieben tengsa Wiagas sind sie nicht mit Hainen, Bäumen, Felsen, Flüssen usw. verbunden, sondern die Opfersteine liegen auf dem flachen Erdboden. In Wiaga-Guuta steht zwar ein Opferstein vor einem Baobab-Baum, der Stein wird jedoch bei Opfern entfernt, und die Libationen fließen in das so entstandene Erdloch, während der Erdherr von Wabilinsa aus Awennoai Yeri (yeri, ‘Gehöft’) bei Tieropfern an sein teng das Blut in eine eigens hierfür ausgehobene kleine Erdgrube fließen lässt.

 

Fortsetzung: Die Macht eines tanggbain/teng und des Erdherrn

 

Endnoten

1Erdpriester; engl. auch:, earth-priest, custodian of the earth, landlord1, land owner, master of the Earth, warden of the shrine of the earth-god, priest of the Earth-god, shrine tender; französisch: chef de terre...

2Die Bulsa, ein Bauernvolk mit einer segmentären Gesellschaftsordnung, leben im Norden Ghanas, südwestlich von Navrongo. Meine Feldforschungen wurden vor allem in dem zentral gelegenen und fast nur aus Einzelgehöften bestehenden Ort Wiaga in elf Feldforschungsaufenthalten zwischen 1972 und 2003 durchgeführt. Ich bedanke mich bei Prof. Rüdiger Schott für seine kompetenten Hilfen, z.B. in Form von Kommentaren zur Rohform dieses Textes. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen finden sich zudem weitere wertvolle Informationen über den Erdkult der Bulsa (s. Literaturverzeichnis). Der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gilt mein Dank für die finanziellen Beihilfen zu mehreren Feldforschungsaufenthalten.

 

3Vgl. hierzu Beyer 1998: 161 und Zwernemann 1968: 465-75. Die umfangreiche Habilitationschrift (1968) von Zwernemann befasst sich eingehend mit dem Erdkult für den ganzen Bereich der sudanischen Völker und bot mir wertvolle Information zum Verständnis des Erdkults.

 

4Ich gebrauche den Begriff Sektion, der auch allgemein bei den Bulsa und anderen Ethnien in der englischen Form „section" gängig ist, im Sinne einer territorialen Organisation, d.h. mit Einschluss der eingeheirateten Ehefrauen und Nichtagnaten. Die Sektion, in Wiaga häufig auch eine Subsektion, basiert oft auf einer Patrilineage, deren Oberhaupt (kpagi) dann eine rituelle Führungsrolle einnimmt, während im moderneren politischen System ein kambonnaab (sub-chief) der Sektion vorsteht. Oft ist die Sektion auch eine exogame Einheit. Der Amtsbezirk eines Erdherrn, der gleichzusetzen ist mit dem Ritualbereich (Sprengel) eines Erdheiligtums, kann größer, kleiner oder identisch mit dem Territorium einer Sektion sein. Die Namen der Sektionen beziehen sich meistens auf den Begründer der Sektions-Lineage (Badomsa ist z.B. nach dem Ahnen Abadoming benannt), seltener auf lokale Erscheinungen (Yisobsa: ‘die schwarzen Gehöfte’). Alle im Text genannten Sektionen beziehen sich - falls nicht anders angemerkt - auf Wiaga, das zur Zeit etwa 5000 Einwohner zählt.

 

5In Gesprächen benutzten meine Helfer und Informanten mitunter die Bezeichnung teng-tanggbain, die eindeutig den gemeinten tanggbain-Typ kennzeichnet, aber in der Buli-Sprache sonst nicht gebräuchlich ist, zumal die Silbe teng ja schon im Wort tanggbain enthalten ist.